Blutegel, Schlangen, störrische Äste: Damit kämpfen die sri-lankischen Teepflückerinnen während der Arbeit. Armut und Diskriminierung: Damit kämpfen sie abseits der Plantagen. Eine Fotoreportage über die Teefrauen von Poonagalla
Teepflücken ist eine Arbeit für gestandene Frauen. In Poonagalla im bergigen Hochland von Sri Lanka laufen seit halb acht Uhr morgens 30 Arbeiterinnen zwischen den Sträuchern umher und zupfen hellgrüne Blätter, die sie in Plastiksäcke auf ihren Rücken stopfen. Viele sind über 40, manche schon fast 60. Ab und zu plaudern sie über die Sträucher hinweg auf tamilisch, während am Rande der Plantage eine Makaken-Familie durch die Bäume turnt.
Die Arme der Frauen sind sehnig, die Füße dreckig, faltig und manchmal auch blutig, die Adern und die Hornhaut dick. Weil die Hänge steil und Schuhe teuer sind, laufen die Teepflückerinnen barfuß durch die Plantagen. Manchmal treffen sie zwischen den Sträuchern auf kleine Schlangen, in der Monsunzeit tummeln sich auf dem Boden sogar Blutegel.
Thagvelee Pushparanee ist eine der besten Arbeiterinnen der Gruppe. Sie trägt einen roten Sari und einen Plastiksack um die Hüften, der sie vor störrischen Ästen schützt. An 25 Tagen im Monat steht Thagvelee auf den Plantagen, jeweils acht Stunden lang. Wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kommt, kocht sie für ihre Familie. Nachts schläft sie auf einer dünnen Bastmatte auf dem Boden. Ihre Dreizimmerwohnung teilt sie sich mit sechs Familienmitgliedern. Weil es durch das Dach regnet, ist die Decke voller Wasserflecken, fließend Wasser gibt es aber nicht. Thagvelee ist zwar schon 53 Jahre alt, aber weil sie noch zwei ihrer sechs Kinder versorgen muss, will sie weiterarbeiten, bis sie 60 ist.
An guten Tagen verstaut Thagvelee 18 Kilogramm Blätter in dem Sack auf ihrem Rücken. Sie zupft nur die hellgrünen Blätter, die ganz oben an den Teesträuchern wachsen. Aus ihnen entsteht in der Teefabrik der berühmte Ceylon-Tee. Pro Tag bekommt Thagvelee dafür rund 805 Rupien, etwas mehr als vier Euro. Im Monat kommt sie so auf fast 100 Euro.
Weil ein Teil davon für die Altersvorsorge abgeht und sie außerdem noch einen Kredit zurückzahlen muss, bleibt nur die Hälfte vom Lohn übrig. Kaum genug, um sich und ihre Familie zu ernähren. Was ihr wertvollster Besitz ist? „Ich besitze nichts Wertvolles“, sagt Thagvelee. Nicht einmal ein Bett steht in ihrer Behausung.
Thagvelee wohnt in Poonagalla, einem Dorf, in dem fast ausschließlich Plantagenarbeiter und ihre Familien leben. Zwischen Teefeldern und einer Grundschule stehen dort drei längliche Baracken, die 80 Menschen beherbergen. Es stinkt nach Rauch und Hühner stolzieren durch Wohnungen, in denen es weder Türen noch Privatsphäre gibt. Ein dreibeiniger Hund hinkt zwischen braunen Pfützen umher.
Die überwiegende Mehrheit der sri-lankischen Teedörfer sieht aus wie Poonagalla. Die länglichen Baracken sind sogenannte Langhäuser, die oft noch aus der Kolonialzeit stammen und seitdem verfallen. Inhaber sind große Teefirmen, die die Bewohner hinauswerfen, sobald sie ihre Arbeit auf den Plantagen aufgeben. Weil in den Häusern wenig Platz ist, sind Kochstellen und Latrinen ausgelagert. Duschen und Bäder gibt es nicht. Mehrere hunderttausend Menschen leben in solch katastrophalen Verhältnissen.
Die meisten Bewohner der Teedörfer sind Hochlandtamilen, auch indische Tamilen genannt. Sie sind Nachfahren von Arbeitern, die im 19. Jahrhundert aus Indien einwanderten, um auf den Plantagen der Engländer zu arbeiten. Die Kolonialherren verließen das Land 1948, die Hochlandtamilen blieben. Doch bis heute werden sie von der Regierung vernachlässigt. Es gibt getrennte Schulen, weshalb viele Hochlandtamilen kein Singhalesisch lernen, die wichtigste Sprache in Sri Lanka. Kaum ein qualifizierter Lehrer verirrt sich in die abgelegenen Teedörfer.
Das Resultat ist, dass die Hochlandtamilen dem Rest des Landes in fast jeglicher Hinsicht hinterherhinken. Nur zwei Prozent der Schüler aus den Teedörfern erreicht das A-Level, das dem deutschen Abitur entspricht. Weniger als die Hälfte der Teedorf-Bewohner hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, und einer Studie der NGO „Search For Common Ground“ aus dem Jahr 2013 zufolge lebt fast ein Drittel von ihnen unter der Armutsgrenze. Tee ist das mit Abstand wichtigste Exportgut des Landes. Die Hochlandtamilen bilden das Rückgrat der Teeproduktion. Dennoch werden die Teedörfer im Hochland vernachlässigt und die Bewohner diskriminiert.
Auch Doresami Pushpa arbeitet auf den Teeplantagen. Sie wohnt zwei Türen neben Thagvelee in Poonagalla. Jeden Tag fährt sie um sechs Uhr mit dem Bus zur Plantage. Nach der Arbeit läuft sie den sieben Kilometer langen Weg nach Hause: „Um die 25 Rupien für den Bus zu sparen“, sagt sie, und schlägt plötzlich die Hände vor dem Gesicht zusammen, um einige Tränen zu verbergen. Warum sie weint? „Weil sich endlich jemand interessiert“, sagt Doresami.
Obwohl auch ihr Mann eine Arbeit als Schneider gefunden hat, reicht das Geld für die vierköpfige Familie kaum aus. Doresamis Kinder gehen in eine mehrere Kilometer entfernte Schule. Der Unterricht ist zwar kostenlos, aber die Schulhefte und der Bus sind teuer.
Doresami arbeitet als „Supervisor“, zupft also selbst keine Blätter, sondern überwacht 45 Teepflückerinnen und lernt sie an. Dafür bekommt sie 750 Rupien am Tag, etwas weniger als Thagvelee. Weil sie gerne mit Menschen arbeitet, mag sie ihren Job. Trotzdem ist Doresami der Meinung, dass sie weniger Geld bekommt, als sie eigentlich verdient. „Es ist unglaublich hart, für alle Ausgaben aufzukommen“, sagt sie.
Vor oder nach der Arbeit kümmern sich die Frauen in Poonagalla zusätzlich um den Haushalt. Sie waschen, putzen, kaufen ein und kochen auf den Feuerstellen das Essen für ihre Familien. Der Speiseplan bietet wenig Abwechslung: Auf dem Teller landen entweder Rotis, die traditionellen südasiatischen Teigfladen, oder Reis mit verschiedenen Currys.
Die Männer arbeiten traditionell nicht als Teepflücker. Dafür übernehmen sie alle sonstigen Aufgaben, die auf den Plantagen anfallen, wie Teesträucher beschneiden oder Wege anlegen. Auch die „Supervisor“ und die höhergestellten Mitarbeiter sind in der Regel Männer. Weil sie auf den Plantagen aber deutlich seltener gebraucht werden als die Frauen, ziehen sie auf der Suche nach Arbeit oft in die Großstadt.
Aufgrund der trostlosen Perspektive verlassen auch immer mehr junge Hochlandtamilen die Baracken und die Teedörfer. Stattdessen suchen sie im Rest des Landes Arbeit in Textilfabriken oder auf Baustellen. Noch gibt es genug ältere Frauen wie Thagvelee oder Doresami, die ohne die Teepflückerei kaum überleben könnten. Doch wenn sie in Rente gehen, kommen keine jungen Arbeiter nach.
Für Sri Lanka könnte sich das bald zu einer großen Misere ausweiten. Die Hochlandtamilen ernten jährlich mehr als 300 Millionen Kilogramm Tee pro Jahr. Die getrockneten Blätter sind das mit Abstand wichtigste Exportgut des Landes. Wenn die billigen Arbeitskräfte ausbleiben und der Ceylon-Tee teurer wird, stehen die Plantagenbesitzer vor einer ungewissen Zukunft.
Für Frauen wie Thagvelee und Doresami hingegen ist die Zukunft vorgezeichnet. Sie werden noch einige Jahre lang zwischen den Teesträuchern umherwandern, bevor sie in Rente gehen und dann auf einen Schlag ihre Pension ausgezahlt bekommen. Wenn sie Glück haben, reicht sie das Geld bis ans Lebensende. Wenn nicht, müssen sie darauf hoffen, dass ihre Kinder eine bessere Arbeit finden als sie.