Wie lästige Ameisen

ka-WUMMMMM: Am Krater des aktivsten Vulkans Europas

Auch die Erde will manchmal überflüssige Gase loswerden. Dass es dabei ganz schön krachen und stinken kann, merken wir spätestens, als wir am Krater des Strombolis stehen und in die Tiefe schauen. Schwefelschwaden ziehen über das Vulkangestein und beißen uns in Augen und Kehle. Der Wind zerrt an den Kleidern, als ob er sie uns vom Leibe reißen wolle. Und dann legt der Stromboli erst richtig los – und schleudert sein Innerstes dem Himmel entgegen.

Vier Stunden zuvor stehen wir noch 900 Meter tiefer am Ufer des tyrrhenischen Meers. Die Insel Stromboli liegt zwischen der kalabrischen und der sizilianischen Küste und ist achtmal kleiner als Sylt. Im Winter wohnen hier nur ein paar Dutzend Menschen, im Sommer ein paar hundert. „Wir leben alle vom Tourismus“, sagt unser Guide Giuseppe, der uns zum Gipfel führen soll.

Eigentlich ist eine Besteigung des Strombolis relativ ungefährlich – doch alle paar Jahre kommt es zu starken Ausbrüchen. Einige Wochen nach unserer Besteigung kam dabei sogar eine Person ums Leben. Zu Beginn unserer Tour drückt uns Giuseppe daher Helme in die Hand, die vor umherfliegenden Gesteinsbrocken schützen sollen. Sicher ist sicher. Dann marschieren wir los: Giuseppe vorneweg, zehn Abenteurer hinterher, wie eine Prozession auf dem Weg zum heiligen Feuerspucker.

Auf dem Weg nach oben erzählt Giuseppe vom Leben auf der Insel. „Außer dem Vulkan gibt es hier nichts“, sagt er, „nicht einmal Süßwasser.“ Dreimal in der Woche wird es von einer Fähre eingeschifft. Trotz der schwierigen Bedingungen lebten hier einst 4000 Menschen von Fischfang und Landwirtschaft. Doch 1930 schleuderte der Stromboli Steine und Lava über die Insel. Drei Menschen starben. Die meisten Einwohner zogen nach Sizilien oder aufs Festland. Auch danach kam es immer wieder zu stärkeren Ausbrüchen. Doch aufgrund der Lage des Kraters fließt die Lava meist über die sogenannte Feuerrutsche („Sciara del Fuoco“) an der Nordwestseite der Insel ins Meer.

Wir hingegen kommen aus östlicher Richtung. Es ist mittlerweile früher Abend, gegen Sonnenuntergang wollen wir am Gipfel sein. Einige Serpentinen hinter uns wandert noch eine zweite Gruppe den Berg hinauf, sonst sind wir allein. Ein paar Mal donnert es über unseren Köpfen und wir fühlen uns wie lästige Ameisen, die als ungebetene Gäste den mächtigen Stromboli stören.

Als wir schließlich an der Bergkante ankommen, peitscht ein Westwind über den Grat. Giuseppe verzieht die Lippen. Der Gipfel, gleichzeitig unser Aussichtspunkt, liegt östlich des Kraters. Genau dort also, wo der Wind die Schwefelschwaden hintreibt. Laut Giuseppe sind sie ungefährlich. Noch ein paar Meter, dann sind wir oben. Die Schwaden versperren die Sicht zur Sonne und zum Krater, sie beißen im Hals und das Atmen fällt schwer.

Und dann kracht es. Noch nie habe ich ein so lautes natürliches Geräusch gehört. KAWUMMMMM. Wie ein Donnerschlag direkt unter mir. Alle zucken zusammen. Der große Stromboli hat gesprochen, und wir kleinen Menschlein erstarren. Amen.

Nach einigen Sekunden verstummt der Stromboli wieder. Wir haben Glück und der Wind dreht, sodass die Schwaden nun nach Norden getrieben werden. Die Sonne mündet rot ins Meer und als sie verschwunden ist, wird es so kalt, dass einige Wanderer hinter Steinblöcken Windschutz suchen oder am Kraterrand zum Aufwärmen Gymnastik betreiben (ich, zum Beispiel).

Wir bleiben eine Stunde auf dem Gipfel und beobachten den Stromboli bei seinem Treiben. Als es schon fast dunkel ist, schießt er zwei Lavafontänen in die Luft – die letzte dauert so lange, dass ich meine schon im Rucksack verstaute Kamera noch einmal auspacken und den Auslöser drücken kann.

Danach setzen wir unsere Stirnlampen auf und steigen durch ein steiles Sandfeld zurück zum Dörfchen Stromboli. Mehrmals halten wir an und leeren unsere Schuhe aus. Alles ist schwarz außer der Sternenhimmel, unseren Lampen und die der nachfolgenden Gruppe, die hinter uns wie eine Perlenkette durch die Nacht gleitet. Während wir dem Meer wieder näherkommen, ist es merkwürdig ruhig. Es sind nur die Steine zu hören, die neben uns in das Dunkel hinabrollen. Vielleicht ist der Stromboli froh, dass die ungebetenen Gäste ihn wieder verlassen.

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