Wie der Klimawandel Hessen verändert

Schmelzende Polkappen und steigende Meeresspiegel sind weit weg. Aber auch vor Hessen macht der Klimawandel nicht halt. Eine Fotostrecke darüber, wie er die Welt vor unserer Haustür verändert

Wer in Hessen nach einem Symbol für den Klimawandel sucht, der sollte die Neunkircher Höhe besuchen. Rund 20 Kilometer südlich von Darmstadt steht ein stillgelegter Skilift. Die warmen Winter haben ihm den Garaus gemacht. Er ist ein Beispiel dafür, wie die globale Erwärmung sich auch bei uns bemerkbar macht.

Früher fuhren hier an guten Tagen mehr als 300 Skifahrer den Hang hinab, mit Blick auf das Schloss Lichtenberg und bei klarer Luft sogar bis auf die Frankfurter Wolkenkratzer. Damals machte Peter Wendel mit seinem Schlepplift ein gutes Geschäft. Doch weil Frau Holle zu oft streikte, stellte er den Betrieb im Jahr 2009 ein. “Dem Klimawandel”, sagt Wendel, “sind wir alle ausgesetzt.”

 

Heute wirken die Masten wie ein Relikt aus einer kälteren Zeit. Die Stahlseile sind zwar noch gespannt, aber in der einstigen Fahrspur wachsen Bäume und am Lifthaus ranken sich Dornenbüsche hinauf. Wendel entschied sich, den Lift stillzulegen, weil die Anzahl der Schneetage drastisch zurückgegangen war: “Von sechs Wochen Mitte der Achtziger bis auf acht bis zwölf Tage vor zehn Jahren”, sagt er. “Heute wären es wohl noch weniger.” Ski fährt hier niemand mehr, der 300 Meter lange Hang wird, wenn Schnee liegt, stattdessen von Rodlern genutzt.

 

Rund um Willingen sind hingegen schon Anfang Dezember weiße Pisten zu sehen, die sich zwischen dunkelgrünen Nadelwäldern und hellgrünen Wiesen die Hänge hinab schlängeln. 2007 errichteten die Betreiber in Hessens größtem Skigebiet für elf Millionen Euro ein Kunstschnee-System. Seitdem wird von der Hoppecke, dem Dorfbach, Wasser in einen Speichersee gepumpt, von wo es zu den Schneekanonen weitergeleitet wird, um schließlich unter Getöse als Kunstschnee auf die Pisten zu rieseln.

Im vergangenen Winter waren die Willinger Pisten 75 Tage lang geöffnet. Die Anzahl der Skitage wird aber trotz Kunstschnee deutlich abnehmen. Einer Ausarbeitung des hessischen Umweltamts zufolge werden die Winter in Hessen von 2031 bis 2060 im Schnitt um zwei Grad wärmer sein als von 1971 bis 2000. Die Winter-Szenarien bis Ende des Jahrhunderts bewegen sich sogar zwischen einem Plus von 2,1 und 4,5 Grad. Die Temperaturen könnten viele hessische Skilift-Betreiber zur Kapitulation zwingen.

 

Peter Fischer vom Forstamt Darmstadt steht zwischen einigen jungen Douglasien. Die Art stammt aus Nordamerika und gilt als Baum der Zukunft, weil sie sowohl mit Hitze als auch mit Schädlingen besser zurechtkommt als viele heimische Baumarten. Die hessischen Wälder werden deshalb zukünftig anders aussehen: Es könnte mehr Douglasien und deutlich weniger Fichten und Kiefern geben. Letztere könnte in deutschen Wäldern sogar komplett aussterben, glaubt Fischer. Und weil es keinen adäquaten Ersatz gebe, werde Bauholz zukünftig deutlich teurer.

 

Im Darmstädter Forst gibt es Stellen, an denen kaum noch gesunde Bäume stehen. Andernorts breiten sich Wiesen aus, wo früher dichter Wald war. Fischer glaubt, dass es nur ein Vorgeschmack auf eine düstere Zukunft ist. Weil Schädlinge wie Maikäfer und Kiefernprachtkäfer sich im Rheingraben angesiedelt haben, nimmt dort die Anzahl an gesunden Bäumen laut Fischer immer weiter ab. Steigende Temperaturen begünstigen die Ausbreitung der Schädlinge. Der Klimawandel stellt die Förster vor große Herausforderungen. “Wenn der Wald weg wäre”, sagt Fischer, “wäre es verheerend für das, was wir als Leben kennen.”

 

Quelle: Pixabay
Andere Lebewesen profitieren von der Verschiebung der Klimazonen nach Norden. So auch die Feuerlibelle, die der Bund für Naturschutz und Umwelt zur “Libelle des Jahres 2011” kürte – weil sie ein eindrucksvolles Beispiel für die Auswirkungen der Erderwärmung sei. Sie ist eines der vielen Lebewesen, die aufgrund des Klimawandels mittlerweile auch in Hessen vorkommen. Ursprünglich stammt sie aus Südeuropa, Afrika und Vorderasien. In den Neunziger Jahren breitete sie sich hierzulande aus. Viele weitere Tier- und Pflanzenarten könnten in den kommenden Jahrzehnten folgen.

 

Die wenigsten Europäer dürften schon einmal von EUMETSAT gehört haben – dabei nutzt der Großteil von ihnen ihre Daten. EUMETSAT sitzt in Darmstadt und ist die europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten. Diese liefern unter anderem die Grundlage für die Wettervorhersage. Außerdem helfen sie dabei, den Klimawandel zu beobachten und zu erfassen. In der Eingangshalle steht ein riesiger Bildschirm, auf dem in Echtzeit die Daten von einem der Satelliten ausgewertet und angezeigt werden.

 

Rund um das EUMETSAT-Gebäude stehen, in Originalgröße, Modelle der Satelliten, die zurzeit über unseren Köpfen die Erde umkreisen. Einer von ihnen heißt Jason-3 und ist die wohl wichtigste Informationsquelle für Vorhersagen über Meeresströmungen und Wellengang. Jason-3 kann nicht nur den Meeresspiegel mit einer Genauigkeit von vier Zentimetern bestimmen, er soll auch dazu beitragen, den Zusammenhang zwischen Meeresströmungen und dem Klimawandel zu erläutern. Außerdem hilft er bei der Vorhersage von El Niño, Dürreperioden und Starkregen. Jason-3 startete im Januar 2016 und wird von Darmstadt aus betrieben.

 

Auf diesem Bild ist nicht etwa die Darmquelle zu sehen, wie auf der Steintafel vermerkt, sondern die Quelle des 56 Kilometer langen Darmbachs. Im Sommer 2016 versiegte sie plötzlich; zum ersten Mal seit 80 Jahren, wie Hessen-Forst damals mitteilte. Schuld war eine lange Trockenperiode. Weil diese häufiger werden, wird es zukünftig in Hessen wohl öfter Niedrigwasser geben. Oder – wie im Falle des Darmbachs – gar kein Wasser mehr.

 

Quelle:Dontworry
Nicht nur auf Niedrigwasser, auch auf Hochwasser müssen sich die Hessen künftig wohl öfter einstellen. Durch die Erwärmung der Luft kann diese mehr Wasserdampf aufnehmen, wodurch Starkregen wahrscheinlicher wird. Ereignisse wie jenes im Jahr 2011, als der Main in Frankfurt über die Ufer lief, könnten häufiger werden.

 

Quelle: CarstenE
Überall in Hessen entstehen Windräder, wie hier in der Nähe von Freiensteinau im Vogelsbergkreis. Im Juni wurde das tausendste hessische Windrad ans Stromnetz angeschlossen. Mittlerweile könnten etwa 1,8 Millionen hessische Haushalte mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Die Energiewende soll nicht nur dafür sorgen, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden können, sondern auch dafür, dass wir weniger Kohlestrom brauchen.

 

Quelle: Peter Cook
Statt sauberen Strom zu produzieren, kann man auch einfach weniger Strom verbrauchen: In Darmstadt-Kranichstein steht seit 1991 das weltweit erste Passivhaus. Aufgrund seiner besonderen Wärmedämmung kommt es ohne klassische Heizung aus und verbraucht bis zu 90 Prozent weniger Heizwärme als übliche Häuser.

Die Energie-Einsparungen schonen nicht nur den Geldbeutel, sondern auch das Klima. Selbst die Vereinten Nationen benennen Passivhäuser als Möglichkeit, die Erderwärmung zu vermindern. Mittlerweile gibt es weltweit etwa 66.000 Wohneinheiten im Passivhaus-Standard, viele davon in Hessen. In Frankfurt Höchst entsteht zurzeit Europas erste Passivhaus-Klinik. So wie der Neunkircher Skilift ein Symbol für den Klimawandel ist, sind die Passivhäuser ein Symbol für die Bekämpfung des Klimawandels. Nicht nur in Darmstadt oder Frankfurt, sondern überall.