Ein glückloser Fischer, couragierte Fußballfans, Gefühle beim Reisen und ein Unfall: Eindrücke meines Indonesien-Roadtrips, Teil 2.
Es ist Samstagnachmittag in Tejakula, einem Ort an Balis Nordküste, und es geschieht das gleiche wie in Brunsbüttel oder Dudenhofen: Die männliche Hälfte des Dorfs strömt zum Sportplatz. Pokalspiel. Ein paar Jungs setzen sich neben mich und stellen die Frage aller Fragen: Messi oder Ronaldo? „Messi“, sage ich schweren Herzens; zwischen Mbappé und Ronaldo entscheide ich mich dann doch für letzteren und ernte prompt ein paar SÜÜÜÜÜÜÜÜs.
Etwa 2000 Zuschauer sind gekommen; ein paar besonders couragierte platzieren sich erstaunlich nahe unter einer über die Südkurve ragenden Kokospalme. Vor Spielbeginn hält ein Offizieller eine viel zu lange Rede, mit zehnminütiger Verspätung geht es los. Die Spieler geben von Beginn an Gas, die Stimmung ist besser als in der Allianz-Arena, der Rasen aber leider nicht: Die knochentrockene Hügellandschaft erlaubt nur mieses Gebolze; jeder Freistoß und sogar Anstoß wird gnadenlos nach vorne gekloppt.
Der Spielfilm ist schnell erzählt: Mitte der zweiten Halbzeit staubt ein Spieler der Heimmannschaft zur Führung ab, davor und danach passiert – bis auf ein paar vielumjubelte Solo-Seitenläufe – nicht viel. Nach dem Schlusspfiff stürmen ein paar Jungs den Platz, die Kokosnüsse hängen alle noch am Baum. Die männliche Hälfte des Dorfs ist zufrieden.
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Die Infrastruktur für einen Roadtrip ist auf Java und Bali erstaunlich gut. Die größeren Straßen sind in der Regel in einwandfreiem Zustand und am Rand stehen alle paar Kilometer Glasflaschen mit einer smaragdgrünen Flüssigkeit: Nachschub für Buddy, sobald ihm der Saft auszugehen droht. Die etwas in die Jahre gekommene Fähre von Java nach Bali kostet für Buddy plus mich gerade einmal 38 000 Rupien (2,50 Euro) und anders als ich befürchtet hatte, treffe ich auch keine käuflichen Polizisten. Einmal werde ich angehalten, aber als ich meinen internationalen Führerschein zeige, winkt der Kollege mich mit einem Lächeln durch und wünscht mir eine gute Weiterreise.
Zweimal gerate ich trotzdem in brenzlige Situationen.
Einmal kommt mir direkt hinter einer Kurve ein überholendes Auto entgegen. Neben der Fahrspur verläuft ein staubiger Seitenstreifen, auf den ich gerade noch ausweichen kann.
Ein andermal fahre ich im Linksverkehr auf der linken Spur und biege links zu einer Tankstelle ab, als mich noch weiter links ein Scooterfahrer überholen will und in meine Seite kracht. Obwohl ich den Blinker nicht gesetzt hatte, entschuldigt er sich mehrmals. Mein Nummernschild ist verbogen, am Seitenspiegel hat sich die Mutter gelockert und ich habe eine kleine Schramme am Bein. Mehr ist nicht passiert. Glück gehabt, wieder einmal.
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Der Verkehr ist zum Glück nur selten so hektisch wie zu Beginn zwischen Surabaya und Malang. Außerhalb der Ballungszentren ist es meist so ruhig, dass man darauf achten kann, was am Straßenrand passiert. Wenn beispielsweise ein paar Marktstände erscheinen, halte ich fast jedes Mal an. Zwischen den meterhoch aufgetürmten Waren, den streunenden Hunden und den feilschenden Verkäufern spielt das pure Leben.
Auf einem Markt in Nordbali treffe ich eine Bodyguard und einen Kartoffelschlepper. Die Bodyguard ist eine ältere Frau, die mir minutenlang stumm folgt, wie um mich vor aufdringlichen Halsabschneidern zu schützen. Sobald ich mich zu ihr umdrehe, lächelt sie und zeigt ihre zwei verbliebenen Zähne. „Hello, nama saya David“, sage ich irgendwann, „I‘m driving to Kintamani.“ Wieder zeigt sie ihre zwei Zähne, und erzählt von nun an stolz allen Marktfrauen, an denen vorbeilaufen, dass ich David heiße und nach Kintamani fahre.
Der Kartoffelschlepper schleppt gerade Kartoffelsäcke von einem Lkw zu einem Marktstand, als ich vorbeikomme. Ob ich ein Foto von ihm machen darf? Klar, sagt er, hievt sich einen weiteren Sack auf die Schulter und streckt die Daumen nach oben.
So schwer kann das also nicht sein. Ich lasse mir auch einen Sack geben – und kann ihn gerade noch auf die Ladefläche zurückstoßen, bevor ich zusammensacke. 70 bis 80 Kilogramm hat so ein Sack, sagt der Kartoffelschlepper. Wahnsinn. „Strong man“, sage ich, „very strong man.“
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Das Reisen auf Bali fühlt sich anders an als auf Java. Unter anderem wegen der Religion: Java ist größtenteils muslimisch; viele Supermärkte verkaufen keinen Alkohol, dafür dröhnt irgendwo in der Nähe immer ein Muezzin (häufig auch eine Muezzinin) fünfmal am Tag in ein Mikrofon; das erste Mal morgens zwischen halb 5 und 5.
Die meisten Balinesen sind hingegen Hinduisten. Statt Muezzins sind Gamelan-Klänge zu hören, und statt Kopftüchern sieht man vor vielen Häusern kleine Körbchen mit Blumen, Räucherstäbchen, Reis, Früchten oder Keksen: Opfergaben an die Götter, oft über den Umweg eines Hunde-, Vogel oder Affenmagens.
Der zweite große Unterschied zwischen Bali und Java liegt darin, dass Bali „Tourist Country“ durch und durch ist. Die Insel ist wunderschön, aber jeder Wasserfall, jede heiße Quelle, ist erschlossen. Selbst in den abgelegenen Ecken begegnen mir stets andere Rollerfahrer, die aussehen wie ich. Die Einheimischen kennen die Gäste aus dem fernen Westen (oder aus dem australischen Süden). Manchmal fühlt sich die Insel für mich an wie eine glitzernde Fassade, hinter der sich das echte Indonesien versteckt.
Auch auf Java gibt es diese Touri-Blasen; rund um den Gunung Bromo oder den Kawah Ijen zum Beispiel. Dazwischen kann ich jedoch stundenlang über die Straßen düsen, ohne einen anderen Weißen zu sehen. Und sobald ich irgendwo zum Mittagessen anhalte, bin ich der Exot mit der langen Nase. Kleine Kinder winken mir zu, manche Menschen wollen ein Selfie mit mir oder sind neugierig, warum ich ausgerechnet dieses Fleckchen Erde besuche.
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Am Horizont schiebt sich schon das Orange ins Dunkel, als Made Ari sein Boot in die Wellen drückt. Seine Schicht als Nachtwächter ist vorbei, jetzt beginnt die als Fischer. Made hofft auf einen Snapper oder einen kleinen Thunfisch; wenn es gut läuft, beißt vielleicht sogar ein Barrakuda an. Er lässt den Motor an, dann schippern wir in Richtung Sonnenaufgang.
Made, 38, stammt aus Amed, einem Küstendorf im Nordosten von Bali. Früher lebten hier hauptsächlich Fischer und Salzbauern, mittlerweile gibt es ein paar Dutzend Tauchschulen und Homestays. Am Strand reihen sich Beachbars und Restaurants aneinander, in denen die Stühle auf dem schwarzen Vulkansand stehen und Katzen umherstreifen in der Hoffnung auf einen Bissen vom fantastischen Fisch.
An manchen Tagen verkauft auch Made seinen Fang an die Restaurants: Für ein Kilogramm Barrakuda bekommt er rund drei Euro, für Thunfisch etwa zwei Euro.
Als wir weit genug vom Festland entfernt sind, lässt Made seine Leine ins Wasser gleiten: eine Nylonschnur mit 25 Haken, glitzernden Ködern und einer Eisenstange, die bis zum 100 Meter tiefen Grund sinkt. Wenn Made an der Leine zieht, tanzen die Köder in der Strömung wie kleine Sardinen.
Schon als Kind fuhr er lieber mit seinem Vater aufs Meer, als in die Schule zu gehen, erzählt Made. Mit seinen beiden Jobs als Fischer und Nachtwächter verdiene er genug, um für seine Frau und die beiden Kinder zu sorgen und sich kleine Genüsse wie seine Zigaretten leisten zu können.
Als die Sonne ein paar Zentimeter über dem Horizont steht und immer noch kein Fisch angebissen hat, wirft Made den Motor an: Standortwechsel. „Bad Currents today“, sagt er. Auch die vorbeikommenden Fischer schütteln die Köpfe. Früher habe es hier mehr Fische gegeben, sagt Made. Manche seiner Kollegen ziehen mittlerweile große Netze hinter sich her und holen Hunderte Makrelen auf einmal aus dem Wasser.
Nach zweieinhalb Stunden geben wir auf, Made steuert das Boot zurück zum Strand. „Sometimes good, sometimes bad“, sagt Made: Manchmal läuft es gut, manchmal eben nicht. Sei aber nicht weiter schlimm, dann gebe es zum Reis heute eben Tofu und Ei.
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Einfach nur Pflanzen.
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Die Indonesier haben ein kompliziertes Verhältnis zur Zigarette. Rund sieben von zehn Männern rauchen regelmäßig (bei den Frauen weniger als eine von zehn). Während meiner Reise sehe ich Männer (und teilweise auch Jungs), die beim Bergsteigen rauchen, beim Paddeln, auf dem Motorrad, ja sogar während sie einen Bottich voller Fische auf dem Kopf tragen. Besonders beliebt sind die “Kreteks”: die oftmals filterlosen Zigaretten, die neben Tabak geschrotete Gewürznelken enthalten, süßlich schmecken und beim Inhalieren leicht knistern.
Auch ich rauche während meiner Reise einige Schachteln davon. In einem Hostel unterhalte ich mich mit Febi darüber. Sie arbeitet dort und ist eine der wenigen indonesischen Frauen, die rauchen. Vor allem in ländlichen, muslimisch geprägten Gegenden gelte Rauchen für Frauen als unschicklich, sagt Febi. Für Männer sei es hingegen oft eine Art Stressbewältigung. “Man nimmt einen tiefen Zug und beruhigt sich”, sagt Febi. Vor einigen Jahren führte sie sogar eine kleine Umfrage zum Thema durch. Viele Männer hätten ihr damals gesagt: “Ich kann erst nach einer Zigarette richtig denken”, so Febi.
Die Tabakindustrie ist einer der größten Arbeitgeber im Land und versorgt indirekt etwa zehn Millionen Menschen – bringt viele von ihnen aber leider auch frühzeitig ins Grab. Der Organisation “Campaign for Tobacco-Free Kids” zufolge wurden in Indonesien 2018 etwa 300 Milliarden Zigaretten verkauft; das entspricht mehr als 1000 Zigaretten oder 50 Pack pro Einwohner. Jeder sechste Todesfall im Land, so die Organisation, sei aufs Rauchen zurückzuführen.
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Es ist der letzte Tag mit Buddy, und es wird noch einmal hektisch: Der Flughafen liegt im Süden Balis, wo ein Großteil der Inselbewohner lebt und ständig Stau herrscht. Hier liegt nicht nur der australische Ballermann, es gibt auch fantastische Strände und Wellen, die Surfer aus aller Welt anziehen.
Ich spare mir die Touri-Massen und stürze mich stattdessen in ein anderes Getümmel: den lokalen Fischmarkt. Ein paar Hundert Buden, an denen es alles zu kaufen gibt, was die balinesische See zu bieten hat. Die Boote legen am wenige Meter entfernten Strand an und liefern die fangfrische Ware: Bottiche voller Sardinen, Langusten, Thunfische, Tintenfische, ja sogar Riffhaie landen in der Auslage. Zwischen den Buden stinkt es so gewaltig, dass ich schon befürchte, später im Flugzeug auch meine Mitreisenden mit den Nachwehen des Fischmarkts beglücken zu dürfen. Trotzdem bleibe ich eine Stunde lang und fotografiere das Treiben.
Dann ist es an der Zeit, Buddy abzugeben. Ein Mitarbeiter des Vermietungsunternehmens wartet am Flughafen. Ein kurzer Check: Keine Schrammen, der Tank ist voll, alles funktioniert. Rein äußerlich ist Buddy noch der Alte. Nur der Zähler deutet auf das Erlebte hin: Buddy hat 1369 Kilometer hinzugewonnen, und ich viele tolle Erfahrungen. Bye bye, Bali; bye bye, Indonesien! Und vor allem: bye bye, Buddy, und danke!
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