Drei Vulkane, neue Freunde und ein Drink für die Götter: Eindrücke meines Indonesien-Roadtrips, Teil 1.
Das Schöne an Problemen ist, dass man danach etwas zu erzählen hat. Was war das doch damals für ein Erlebnis, als man in Mexiko um Mitternacht mit all seinen Sachen auf der Straße stand, bei prasselndem Regen, weil die einzige Unterkunft im Ort das Tor nicht aufmachte! Oder als man in Sri Lanka tagelang mit Hamsterbacken und Mumps-Verdacht im Bett lag! Das Problem an meinem Roadtrip durch Indonesien ist: Es gibt keine nennenswerten Probleme, zumindest fast keine.
Dreieinhalb Wochen bin ich mit Buddy unterwegs, von Surabaya im Nordosten Javas bis nach Denpasar im Süden Balis. Buddy ist mein roter Honda-Scooter, den ich so getauft habe, in der Hoffnung, dass er mich wie ein guter Freund, ein guter Buddy, nicht im Stich lässt.
Und tatsächlich verzeiht Buddy es mir jedes Mal, wenn ich ihn über eine Sandpiste jage oder zu schnell durch ein Schlagloch düse. Einmal sind wir in einen Unfall verwickelt; zumindest Buddy trägt daran aber keine Schuld. Mehr als 1300 Kilometer lang ist unsere Route, zwischen Reisfeldern und Palmen, Großstädten und Fischerdörfern, Vulkanen und Stränden, Moscheen und Tempeln. Wie läuft ein solcher Roadtrip ab? Und was erlebt man dabei? Einige Eindrücke.
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Surabaya ist mit mehr als drei Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Indonesiens, hat touristisch aber kaum etwas zu bieten. Ich fahre direkt nach Malang, eine Stadt 90 Kilometer weiter südlich. Fast die gesamte Strecke ist von Gebäuden gesäumt. Auf Java wohnen mehr als 150 Millionen Menschen, die Bevölkerungsdichte ist fünfmal höher als in Deutschland. Die Straßen sind dementsprechend voll. Der Verkehr funktioniert nur durch eine Mischung aus Mut und Rücksicht: Wer überholen will, muss darauf zählen, dass der Gegenverkehr entweder bremst oder an den Straßenrand ausweicht. Was erstaunlicherweise immer funktioniert.
Scooter sind beweglicher und deshalb im Vorteil. Trotzdem ist die Fahrt ein ständiges Stop-and-go: Die rechte Hand gibt Gas, die linke bremst. Bei 70 km/h zwischen Lastwagen hindurchschlängeln, bei drei km/h darauf achten, niemandem hinten reinzufahren. Darauf vertrauen, dass einem selbst niemand hinten reinfährt. Visier rauf, um frische Luft zu schnappen. Staub in den Augen, Visier wieder runter. 70 km/h, drei km/h. Stop-and-go.
Ein Tankstellen-Stopp. Durchatmen. Ein paar Schlucke Wasser für mich, ein paar Schlucke Benzin für Buddy. Zurück auf den Asphalt. Überall orange blinkende Ampeln, die es wohl aufgegeben haben, dem Verkehr etwas vorschreiben zu können. Konzentration hochhalten. 90 Kilometer, drei Stunden lang. Dann, endlich: Malang.
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Malang ist voller Bäume und breiter Boulevards aus der Zeit, in der hier die Niederländer herrschten. Auf den Straßenschildern stehen unter den heutigen Namen oft auch jene aus der Kolonialzeit.
Ich besuche Jodipan, eine ärmere Nachbarschaft, in der Hütten und Gassen in Regenbogenfarben gestrichen sind. Vor einigen Jahren sollte Jodipan noch abgerissen werden. Studenten der lokalen Universität hatten eine bessere Idee: Sie engagierten zwei Dutzend Maler, die das Viertel in ein Kunstwerk verwandelten. Der Eintritt kostet etwa 50 Cent und die Bewohner verkaufen den Touristen Essen und Souvenirs.
Jemandem wie mir, der Development Studies studiert hat, strahlt bei einem solch einfachen und cleveren Entwicklungsprojekt das Herz. In Regenbogenfarben natürlich.
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Rund 130 aktive Vulkane brodeln in Indonesien, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Drei von ihnen schaue ich mir auf Java an – und jeder ist auf seine eigene Art majestätisch und erhaben.
Rund um den Gunung Bromo erstreckt sich eine mondähnliche Landschaft, bedeckt von schwarzem Staub und erstarrter Lava; dazwischen erheben sich wie geköpfte Kegel zwei Krater, von denen einer alle paar Jahre Feuer und Asche spuckt. Durch die umgebende Caldera verläuft eine kilometerlange Sandpiste, die Google Maps als normale Straße kennzeichnet. Mit viel Mühe und Vorsicht wackeln Buddy und ich eine halbe Stunde lang durch den Sand, bis wieder Asphalt in Sicht kommt.
Der Kawah Ijen ist kleiner und bunter als der Bromo: Im Krater schimmert ein türkiser See, an dessen Ufer sich eitergelbe Schwefelbrocken abgelagert haben. Mehrmals täglich bringen Arbeiter in ihren Körben 90 Kilogramm davon hinauf zum Kraterrand. Eine elende Schufterei, von der die Arbeiter nicht nur einen geringen Lohn, sondern wegen der giftigen Dämpfe auch eine mickrige Lebenserwartung davontragen.
Bromo und Ijen sind leicht zu erreichen und dementsprechend gut besucht. Den Gunung Raung hingegen muss man sich erwandern: eine Zweitagestour mit 30 Kilometern, 2700 Höhenmetern und mehreren Kletterpassagen. Der Raung gilt als schwerster Gipfel auf Java.
Ich bin mit einer Gruppe Indonesier unterwegs. Am ersten Tag wandern wir durch dichten Dschungel, essen abends Reis mit Hühnerkeule und Wasserspinat und legen uns früh auf unsere hauchdünnen Isomatten.
Am nächsten Morgen starten wir um 2 Uhr in Richtung Gipfel. Mit dem ersten Tageslicht erreichen wir die Baumgrenze, die Wolkengrenze liegt schon weit unter uns: In der Ferne stechen einige andere Vulkane heraus; Bromo, Semeru, Argopuro, sogar der Gunung Agung auf der Nachbarinsel Bali.
Der Grat ist hier oben so schmal, dass manche Wandergefährten (inklusive mir) einige Meter auf dem Po rutschend zurücklegen. An anderen Stellen haken wir die Karabiner ein und ziehen uns an Seil und Fels nach oben. Unsere Guides helfen uns und zünden sich nebenbei einige Fluppen an.
Anderthalb Stunden nach Sonnenaufgang sind wir endlich am Gipfel. Es ist Picture-Time: Die Indonesier lieben es, zu posieren. Wir machen Gruppenfotos, Einzelfotos, jeder will ein Bild mit mir, Bilder mit Kappe, ohne Kappe, Peace-Zeichen, Siegerpose und so weiter und so fort. Ein Wandergefährte hat sogar ein weißes Hemd mitgeschleppt. Alle strahlen und sind glücklich.
Orte wie dieser, schreibt der belgische Schriftsteller Alain de Botton in seinem Buch The Art of Travel, würden uns lehren, dass wir zerbrechlich und vergänglich seien, dass das Universum mächtiger sei als der Mensch, dass „wir uns Notwendigkeiten beugen müssen, die größer sind als wir selbst“. Im Angesicht solcher Erhabenheit fühle man sich aber nicht erdrückt, sondern „inspiriert von dem, was jenseits von uns liegt; privilegiert, solchen majestätischen Notwendigkeiten unterworfen zu sein”. Hier oben kann ich gut nachempfinden, was de Botton mit diesen Zeilen meint.
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Die Magie des Reisens entfaltet sich immer dann am stärksten, wenn man im hintersten Winkel der Erde Menschen kennenlernt, die innerhalb kürzester Zeit zu Freunden werden.
In Kalibaru, einer verschlafenen Kleinstadt am Fuße des Gunung Raung, will ich mich für ein paar Tage in eine Eidechse verwandeln und möglichst viel Sonne tanken – genau wie Ben und Heidi, ein Paar aus der Nähe von Manchester. Wir liegen einen Tag gemeinsam am Pool, schwingen uns am nächsten Morgen zu dritt auf meinen Scooter und erkunden die Umgebung. Auf einer Kakaoplantage plündern wir die Schokoladenvorräte und ernten einen Zuckerschock; wenig später halten wir an einem Zuckerrohrfeld an und saugen die Süße direkt aus der Pflanze. Auf dem Weg zu einer Kaffeeplantage verwandelt sich die asphaltierte Straße plötzlich in einen Trampelpfad und wir müssen umkehren.
Als wir abends bei Bier und Chips beisammensitzen, vergleicht Ben die Straße mit unserer Beziehung: Eine fantastische Sache, die aber im Nichts endet. Denn das ist die Crux am Reisen: Man lernt seine Mitmenschen so schnell so tief kennen wie in wohl keiner anderen Umgebung. Man teilt tolle Erlebnisse, Euphorie und intime Gedanken, taucht für einige Zeit in die Lebenswelt der neuen Freunde ein. Das kann wahnsinnig spannend und bereichernd sein. Und am nächsten Morgen sagt man sich Goodbye.
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Einfach nur Scooter von hinten. Ich staune immer wieder, was man auf so einem Ding alles transportieren kann.
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Indonesien ist ein wahnsinnig großes und kompliziertes Land. Die Distanz zwischen dem Westzipfel Sumatras und der Provinz Papua im Osten ist so groß wie die zwischen London und Teheran. Von den fast 18 000 Inseln ist ein Drittel bewohnt; es gibt rund 360 verschiedene Ethnien und mehr als 700 Sprachen. Eine davon ist die gemeinsame: Bahasa Indonesia; nach der Unabhängigkeit als Amts- und Unterrichtssprache auserkoren, damit die Bewohner der verschiedenen Inseln sich verständigen konnten.
Weil ich mehr über Land und Leute erfahren will, lese ich das Buch „Indonesia etc.“. Die Autorin Elisabeth Pisani ist Epidemiologin und Journalistin, arbeitete lange als Reuters-Korrespondentin in Jakarta und forschte im Rotlicht-Milieu der Hauptstadt zu Geschlechtskrankheiten. Für ihr Buch reiste sie ein Jahr lang in die entlegensten Ecken des Landes, wo die Dorfbewohner noch in Holzkähnen auf Walfang gehen oder eine Braut 100 Büffel kostet.
Weil Pisani indonesisch spricht, kommt sie überall mit den Einheimischen in Kontakt. Sie lernt ihre Lebensweisen und Eigenarten kennen und schildert sie voller Humor und Tiefgang. Pisani schreibt aus einer persönlichen Perspektive, das Buch ist zugleich Reisebericht und Länderportrait. Es ist eine tolle Lektüre für alle, die Indonesien besser kennenlernen wollen.
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In so gut wie jeder Ortschaft gibt es Es Kelapa zu kaufen, eines der leckersten Getränke der Welt. Meist steht an der Hauptstraße irgendwo eine Verkäuferin, neben ihr ein Haufen ausgeschabter Kokosnüsse, vor ihr ein Bottich mit Kokoswasser und Kokosfleisch. Zwei Schöpfer davon, gemixt mit Kondensmilch, einem Schuss Limette und zwei Eiswürfeln: Voilà, einmal Es Kelapa, die flüssige Frische. Macht dann 5000 Rupien, etwa 30 Cent, und am Ende pult man das Kokosfleisch mit dem Strohhalm aus dem Becher. Ein Drink für die Götter.
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